INTERVIEW MIT MONIKA BRANDMEIER

KÜNSTLERPROFIL: MONIKA BRANDMEIER. Artnet 2005

ANNE HAUN

10. Mai 2005

Die Arbeiten Monika Brandmeiers sind präzise, sie bestechen nicht durch plakative Ästhetik, nicht durch eine weit ausholende inhaltliche Geste oder rhetorische Eleganz. Sie berichten nichts, was außerhalb ihrer selbst angesiedelt ist und erschließen sich dennoch erst auf den zweiten und dritten Blick. In ihrer Unmittelbarkeit und Klarheit hinterfragen Brandmeiers Installationen, Zeichnungen, Fotografien und Videoarbeiten die tradierte, kontextgebundene Sehkultur und stellen das „Ding“ auf den Boden seiner eigenen formal-ästhetischen Tatsachen zurück. „Ich will bestimmte Stücke herstellen, weil ich sie noch nicht gesehen habe. Ich will sie machen, damit es sie gibt.“ 1

Brandmeiers Zugriff auf die Wirklichkeit ist spielerisch-kombinatorisch, entsprechend auch ihre Wahl der Materialien. Über Plexiglas und Reißverschlüsse, über Styropor und Aluminium bis zu Brotrinden und Haarbüscheln scheint sie die gegenständliche Welt in ihrer sinnlichen Komplexität ausmessen zu wollen. Makrokosmos und Mikrokosmos tauschen dabei nicht selten die Perspektive. Die Installationen der Künstlerin sind kompositorische Setzungen im Raum; sie erproben Blickrichtungen und Beziehungsachsen, erforschen Territorien und erzeugen Brüche. Raum – mathematisch gedacht als ein lineares Vektorengebilde – macht die Linie selbst zum Raum, der eine Fläche umschreibt. Volumen ist dann nicht mehr Masse, sondern Leere. Hier wird verständlich, warum die Gattungsgrenzen von Brandmeiers Arbeiten so durchlässig und für die Raumrecherche nicht von Bedeutung sind.

Geradezu paradigmatisch veranschaulicht die 2004 entstandene, dreiteilige fotografische Arbeit Formatting Blick den in diesem Zusammenhang so zentralen Begriff des „projizierten Blicks“ (Brandmeier). Eine Holzpalette, ein Papierbogen und ein flacher Pappkarton sind auf dem Fußboden des Ateliers in scheinbarer Zufälligkeit zueinander angeordnet. Vier kleine Objektwinkel rahmen das Motiv. Sie kennzeichnen die Ausschnitt-Markierungen beim Blick durch die Kamera. In zwei weiteren Aufnahmen desselben Aufbaus aus unterschiedlichen Perspektiven verschiebt sich der zuvor festgesetzte Blickrahmen und verliert sich im Raum. Unter Vermittlung der fotografischen Apparatur werden hier die Codierung des Blicks und die Bedingungen des Sehens am Kunstwerk selbst diskutiert. Die Geste des Fotografierens erscheint als die des phänomenologischen Zweifels, insofern sie versucht, sich dem Phänomen von zahlreichen Standpunkten aus zu nähern. Dabei wird der projizierte Blick, verkörpert in den vier Plastikwinkeln, selbst bildbestimmend. Formallogisch führt Brandmeier die Unmöglichkeit eines neutralen Realitätsentwurfs vor und zeigt die komplexe Blick-Richtung, die zum einen von der Bild- und zum anderen von der subjektiven Wahrnehmungsstruktur geformt ist. In einem derart rational organisierten Raum wird Fotografie in die Dreidimensionalität transponiert – eine motivische Entscheidung, die klar einem Bildhauerkopf entspringt.

Auch in der Arbeit Kipptisch für eine Ausstellung im Münchner Haus der Kunst wird der Blick zur Bildkomposition aus perspektivisch geführten Linien. Hier reagiert Monika Brandmeier ganz spezifisch auf die fast monumentalen Ausmaße des Ehrensaals: „Ein Dia wird über die gesamte Länge des Saals an die Wand geworfen. Über diese Entfernung wird die Fotografie extrem vergrößert und verliert zugleich ihre Lichtstärke und Dichte. Das Motiv eines in Projektionsrichtung weggekippten Tisches erscheint als kaum noch sichtbares Monumentalbild.“2 Das Bild funktioniert als „bedeutende“ Fläche – es deutet auf etwas, das uns in der Abstraktion des eingefrorenen Augenblicks von Realität vorstellbar wird. Durch diese Enthebung wird gleichzeitig Distanz ausgemessen, die Distanz zwischen Betrachter und Bild, Bild und Raum sowie Raum und Betrachter. Sehen gestaltet sich demnach als Annäherung auf Distanz. In diesem Sinne simuliert ein Stahlgestell, das gegen eine grün lackierte Holzplatte kippt und diese stabilisiert, in der Bewegungsrichtung den Blick des Betrachters, die Platte selbst wird zur Projektionsfläche. Aus der rationalen Unzugänglichkeit der Installation resultiert ein explizites Bewusstmachen der Betrachterrolle und damit ein subjektiv konnotativer „Denkraum“ im Gegensatz zur realen Räumlichkeit des Objekts. „Unzugänglichkeit, Abtrennung, Richtung, Kontinuität und deren Störung sind wiederkehrende Motive. Sie suchen nicht die Nähe ihres Betrachters, sondern seinen Blick als raumkonstruierende Koordinate.“3

Denkt man Projektion als immaterielles Geflecht von Linien, so wird man nicht nur den Stellenwert der Zeichnung im Werk Monika Brandmeiers besser verstehen, sondern in der Linie – Ereignis ihrer eigenen Materialisation und Inkarnation von Bewegung – den Ariadnefaden ihres künstlerischen Denkens erkennen. Dieser wird zum kollektiven Gedächtnis freier Assoziationen und in sein Garn ist das Wissen um die ewige Wiederkehr des Gleichen eingeflochten. Selten wurde der rein intellektuelle Zauber der Vernunft so lakonisch zur Schau gestellt, um ihn für nichtig zu erklären. „Es gibt diese Zeichnung mit der eingeklebten Zeile ‚durch Ferngläser Biergläser‘. Das Fernglas ist die Verstärkung des Blicks. Aber Ferngläser und Biergläser sind auf der Zeichnung nicht weit voneinander entfernt, sondern fallen zusammen. Blick und Bild werden identisch.“4

Anne Haun: Noch während deines Studiums begann der Boom der „Neuen Wilden“ – hatte das eine Konsequenz für deinen künstlerischen Werdegang?

Monika Brandmeier: Es war allgemein der „Hunger nach Bildern“ ausgebrochen. Den hatte ich nicht. Was ich suchte, waren eher Möglichkeiten plastischen Arbeitens – und das sollten auf keinen Fall gebaute Bilder sein. Genauer gesagt, suchte ich nach räumlichen Konstellationen, in denen sich eine besondere Fremdheit hervorrufen ließ. Ich hatte die diffuse Vorstellung von einem wohligen Unverstehen bei gleichzeitiger Präzision. Klarheit und Fremdheit waren für mich bestimmende Parameter. „Ungenau aber bestimmt“ und „hier das kalte Hemd“ habe ich 1983 aufgeschrieben.

Anne Haun: Gerade diese Präzision deiner Materialsynthesen betont zunächst die reine Form, ohne assoziative Verstrickung. Dennoch grenzt du dich in deiner Arbeit bewusst von minimal und concept art ab.

Monika Brandmeier: Ja natürlich, denn beide waren auch damals bereits historisch. Außerdem habe ich meine Arbeit nie so rigide verstanden wie die Minimalisten, sondern in sehr abstrakter Weise auch erzählerisch, vielschichtig. Die minimal art erscheint mir selbst in ihren schönsten Arbeiten sehr monolithisch, autoritär und reichlich humorlos. Konzeptkunst hat mich immer vor allem interessiert, weil es interessante mediale Verknüpfungen gab. Dokumentation, Film, Fotografie, Text und Ziffern auf der Wand, das hat mir gefallen. Meine ersten Installationen aus 1982, in denen ich Text auf die Wand schabloniert habe, haben mit Konzeptkunst wahrscheinlich nicht viel zu tun. Aber Filzstifttinte, die in Wandfarbe einsäuft, das hat mir gefallen.

Anne Haun: Du bewegst dich völlig frei zwischen den unterschiedlichsten Medien. Gibt es Grenzbereiche und Überschneidungen?

Monika Brandmeier: Diese Medien sind zunächst mal Arbeitsweisen, Verhaltensweisen: Am Tisch sitzen, Material montieren, etwas aufschreiben, zeichnen, durch die Kamera suchen. Dabei gibt es immer thematische Überschneidungen. Die Haare, zum Beispiel, die in vielen Zeichnungen und Skulpturen der 80er und 90er Jahre, auch in einem Video, vorkommen. Oder die Idee des projizierten Blicks in den Arbeiten der letzten Jahre – ein Motiv, das vor allem für die räumliche Arbeit eine wichtige Rolle spielt, nämlich als Vorstellung davon, wie der Raum zwischen A und B für eine Arbeit eingenommen und dynamisiert werden kann. Diese Vorstellung taucht dann in verschiedenen Medien wieder auf. So zum Beispiel in der Videoinstallation light als Raum zwischen der Projektionslampe des Beamers und der zurückleuchtenden Lampe im Bild. Und eben in sehr vielen bildhauerischen Arbeiten, in denen solche Richtungsschübe durch den Raum vorgestellt werden.

Anne Haun: Mittels Reduktion und Einfachheit im Ausdruck suchst du in deinem Werk nach den elementaren und „objektiven“ Quellen von Kunst. Thematisierst du nicht auch das ästhetische Potential des jeweiligen künstlerischen Mediums als solches?

Monika Brandmeier: Vielleicht sind es nicht unbedingt die „objektiven Quellen von Kunst“, die ich suche, eher das Herz im Salat. Wenn man die Geschichten weglässt, bleibt als unmittelbarste Tatsache das Mittel selbst. Wenn du dich mit Haaren beschäftigst und einen Haarpinsel in der Hand hast, dann gibt es zwischen dem, was du im Kopf hast und dem Ding in der Hand eine kurze Verbindung. Ich fotografiere nicht Landschaften oder Gesichter, ich versuche, das Hinschauen zu fotografieren. Das ist alles aber längst nicht so theoretisch wie es sich vielleicht anhört.

Anne Haun: Sehr deutlich wird das auch in deinen Zeichnungen, die in der reduzierten Materialität die Gattungsbedingungen von Zeichnung im Besonderen und damit letztendlich auch die ästhetischen Prinzipien künstlerischer Arbeit im Allgemeinen implizieren.

Monika Brandmeier: Zeichnen ist extrem unmittelbar, da lassen sich die Impulse für Entscheidungsketten genau ablesen. Und es lässt sich, wenn man genau hinschaut, sogar der Moment ablesen, in dem die Handlung in Selbstbeobachtung umkippt. Dann ist die Zeichnung meistens fertig, „zu Ende“ müsste man richtiger sagen.

Anne Haun: Dein Werk oszilliert zwischen Abstraktion und Figuration. Industrieprodukte, Alltagsgegenstände und verwendete Textfragmente wirken als Auslöser für Assoziationen und Empfindungen, die im Kunstwerk selbst Bestätigung und Veränderung erfahren. Gleichwohl funktionieren deine Arbeiten nach vornehmlich formalen Kriterien. Was versprichst du dir von diesem Spannungsverhältnis? Welchen „Inhalt“ willst du transportieren?

Monika Brandmeier: Abstrakt ist ein enorm missverständlicher Begriff. Abstrakt ist ja nicht nur Mathematik oder ungegenständliche Malerei. Abstrakt heißt für mich eher, auf Ableitungsebenen Ideen zu verknüpfen. Deshalb ist abstrakt auch nicht das Gegenteil von figurativ. Um noch einmal auf die Haare zurückzukommen: Es verlangt dein Abstraktionsvermögen, in der Kombination von geflochtenem Zopf und einer Rechnung zwei parallele Bewegungen von vertikal verlaufenden Additionen zu entdecken. Daneben bleibt aber der Zopf gleichzeitig eine einfache Wasserfarbenlinie, genauso wie die Rechnung auf dem verknitterten Papier die Schrift des Fleischers bleibt, und du denkst dir beim Betrachten der Zeichnung, dass – kurz ehe es zur Zeichnung wurde – das Papier also Fleischwurst einwickelte. Kann man hier sagen, was nun figurativ, was konzeptuell ist? In der Mathematik gibt es den Begriff der Ableitung. Sie besteht darin, eine Formel gewissermaßen um eine Dimension zu verkürzen. Du erzählst also nicht die Geschichte, sondern sagst etwas über das Erzählen. Abstrakt wäre in diesem Sinne das Gegenteil nicht von figurativ, sondern von illustrativ. Wieviel „Rapunzel, lass dein Haar herunter“ ist noch enthalten in dem Haarmusterring eines Perrückenherstellers? Homöopathie funktioniert wohl ähnlich: in Dimensionsschritten verdünnen, abstrahieren, damit es stärker wird.

Anne Haun: Du hast einmal deine künstlerische Vorgehensweise wie folgt umschrieben: „Es bedeutet, einer Sache zu folgen, den Faden in die Hand zu nehmen, mit anderen Fäden, die ich auch noch habe, zusammenzufügen und zu schauen, (…) was daraus plötzlich entsteht.“

Monika Brandmeier: Die Kunsttheorie spricht von Konstruktion und Dekonstruktion. Ich spreche lieber davon, zusammenzufügen. Das heißt auch, etwas latent Vorhandenes genau zu bestimmen und genau da einzupassen, wo es so funktioniert, wie ich es gesucht habe. Das ist mehr als Konstruktion oder Kombination. Die Fügung, wenn sie glückt, muss Wunder bewirken. Etwas Unberechenbares, ein Geschenk, wenn du so willst. Ich will eben gar nichts transportieren. Ich hab ja nichts. Ich will etwas entstehen lassen, das auf einer noch undefinierten Sehnsucht beruht. Sich beschenken wie der Autor eines Kriminalromans, der sein Buch zu Ende schreibt, weil er wissen will, wer der Mörder ist – so sehe ich meine Arbeit. Ein Stück, wenn es fertig ist, zu analysieren ist das eine, aber das ist eben nicht die Spiegelung seiner Entstehung. So klar das Ergebnis auch aussehen mag, es bedeutet noch lange nicht, dass es mit Kalkül in die Welt gesetzt wurde.

Anne Haun: Du meinst, als du für eine Installation einen Grafikschrank als Ausgangspunkt gewählt hast, hast du nicht alle Assoziationen, die seine Funktion als Aufbewahrungsort von Zeichnungen evoziert, mitgedacht? Indem du den Grafikschrank durch einen Eisenstab verschließt, der in waagerechter Linie wiederum Tuchfühlung mit der Ausstellungswand aufnimmt, simuliert diese Arbeit doch geradezu metaphorisch den sich in deinem Werk manifestierenden Spannungsbogen zwischen Skulptur und Zeichnung.

Monika Brandmeier: So kann man die Arbeit durchaus lesen. Aber ich selbst denke nicht so allegorisch, ich lese die Arbeit eher als eine Verkettung von Richtungswechseln – und ich glaube, mit dieser Idee ist sie auch entstanden. Die Schubladenschübe, von denen ich weiß, in welche Richtung sie sich ziehen lassen müssten, der Schlüssel, der sich dreht, eine Stange, die sich durch ihn hindurch in die Wand schiebt. Der Schlüssel ist also wie ein Koordinatenkreuz, von dem alle Richtungspfeile ausgehen. Dabei macht der arretierte Schlüssel alle Bewegungen unmöglich. Und was ich noch in der Arbeit sehe, ist wieder die Verschachtelung von Räumen: Die Räume der Schubläden in dem Volumen des Schrankes, der Schrank als Kubus im Raum, der wiederum durch die Stange angebunden wird. Und in einem dieser ineinander gesetzten Räume stehe ich und überlege mir das alles.

Anne Haun: Hat nicht mal jemand deine Arbeiten als „arrogant“ bezeichnet?

Monika Brandmeier: Ja, das war Marie-Luise Lienhardt, als wir die Ausstellung In den Raum gestellt, oder in Zürich aufbauten. Ich wusste, was sie meint, und mochte ihren Kommentar. Es ging wohl um die Arbeit mit dem Reißverschluss, dessen Anfasser in einem Plexiglaskasten steckt, in den man gar nicht hineinfassen kann. Die Arbeit handelt in ähnlicher Weise von verhinderten Bewegungen wie der Grafikschrank. Aber es geht in ihr noch mehr um die Distanz, die sie mit dem unzugänglichen Raum selbst herstellt. Ich denke immer an solche Laborräume, in die man nur mittels fest in die Wand montierter Handschuhe hineingreifen kann. Noch mehr zielte der Kommentar aber wohl auf den nicht auflösbaren Zusammenhang, in den sich die einzelnen, sehr gegenständlichen Gegenstände begeben haben, um im Ergebnis doch wieder einen ganz abstrakten Raum zu bilden. So viele Beziehungen und Denkmöglichkeiten stecken darin, nur zu einer Aussage kommt das Stück nicht und das frustriert vielleicht.

1 Monika Brandmeier, 1992, zitiert in: Eugen Blume: Überall ist Zeichnung, in: Monika Brandmeier. Zeichnungen, Ausst. Kat. Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1999, S. 149

2 Projektbeschreibung Monika Brandmeier, siehe auch: www.monikabrandmeier.de

3 Monika Brandmeier, aus Aufzeichnungen, 2003, in: Künstler Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst, Heft 9 2003, S. 14 


4 Monika Brandmeier im Gespräch mit Alexander Braun, in: Kunstforum International, Bd. 145, Mai-Juni 1999, S. 300