Bernd Heise: Ein Gespräch mit Monika Brandmeier im September 2009

BH: Der Arbeitstitel für Ausstellung und Katalog lautet „Sachverhalte“. Einerseits tut sich bei diesem Wort ein Kosmos der Bezüglichkeiten auf (von Wittgenstein bis Handke); gleichzeitig wirkt es im Kunstkontext ziemlich spröde. Was heißt für Dich Sachverhalt?

MB: Es gibt eine Arbeit aus dem Jahr 2007, die ich „Sachverhalt“ genannt habe. Es geht darin um ein recht komplexes Innenleben eines Körpers und um dessen Bezugnahme zur Wand. Die Arbeit besteht darin, einzelne Elemente – etwa unterschiedlich aufgedoppelte Innenwände, eine Art Metallspiegel usw. –  in ein Verhältnis zueinander und zum umgebenden Ort zu setzen. Man kann das natürlich für einen Gemeinplatz halten, trotzdem: Der Titel fordert eine gewisse Nüchternheit der Betrachtung ein, dämpft Deine Erwartungen an die metaphorischen Ambitionen der Arbeit und erzeugt vor allem gleich eine räumliche Vorstellung von diesem Gefüge, das vor Dir steht. 

BH: Ich halte das gar nicht für einen Gemeinplatz, sondern für eine sehr sprechende Bezeichnung für viele Deiner Arbeiten: Du willst keine Bedeutungen lenken, sondern eine analytische Betrachtung ermöglichen; aber manchmal hat es den Anschein, als wolltest Du Deine Arbeiten davor schützen, dass sie vom Betrachter in ihrer auch poetischen Qualität wahrgenommen werden. Vielleicht verstärkst Du diese poetische Wirkung durch die Nüchternheit der Titel sogar – beim Schauspieler würde man das „unterspielen“ nennen; ist das schon Strategie?

MB: Eine gewisse Nüchternheit als Modus ist doch gut. Man sieht einfach mehr, wenn man das Kunstwerk erst einmal in Ruhe lässt, wenn man es also nicht gleich mit seinen Stimmungen und Meinungen behelligt. Vielleicht ist das schwer auszuhalten, weil man dann für einen Moment so ohne Munition dasteht. Aber nur wenn es Dir gelingt, Deine innere Bühne für einen Augenblick leer zu räumen, dann kannst Du das, was ich Dir da hinstelle, überhaupt ernst nehmen. Auch das ist mit Sachverhalt gemeint: die Arbeiten als „Dinge Dinger“ [1] mit Daseinsberechtigung zu betrachten, ehe sie ausgewertet sind, ehe Du sie Dir erklären, sie poetisch oder unpoetisch finden und vor allem, ehe Du sie für das eigene Weltbild in Dienst nehmen kannst. 

BH: Ja, das irritiert die einen und beglückt die anderen: Mann muss – oder darf – den Sinn Deiner „Dinge Dinger“ selber entdecken. Das funktioniert, weil Du nicht dekorierst, nicht unterhältst, nicht ablenkst, sondern am Wesen des Problems bleibst, bis alles sein einzig richtiges Material, seinen einzig richtigen Ort und seine einzig richtige Form hat. Evidenz. So empfindet man das. Und dann wird Deine ‚gewisse Nüchternheit’ zur heiligen Nüchternheit. Wie fügst Du das, oder fügt es sich? Findest Du, oder erfindest Du?  

MB: Heilige Nüchternheit, das ist doch Hölderlins heilig nüchternes Wasser, nicht? Und übrigens ich finde schon, dass ich unterhalte …  Nein, wovon ich rede ist einfach nur dies: Wenn Du in der bildenden Kunst überhaupt noch eine unmittelbare Erfahrung machen kannst, dann doch nur, wenn Du Deine Betrachtung  ganz auf das richtest, was zu sehen ist. Das ist nicht so selbstverständlich, wie es klingt. Denn in unserer medialisierten Welt funktioniert ja ein kultureller Verknüpfungsautomatismus, der sofort abgespult wird, was immer Dir begegnet. Der Sachverhalt will aber erst einmal nur einen Zustand konstatieren und ihn für einen Moment auch nur als solchen betrachten. Interesselos, möchte man sagen.

BH: Das ist die Betrachterseite. Aber wie ist Deine Arbeitsweise? Wie fängst Du an? Hast Du die Idee, für die Du die eine gültige Form suchst?

MB: Nein, und es ist schwer zu erklären, warum etwas, das am Ende ganz schlüssig aussieht, so „ergebnisoffen“ entstanden ist. Die Betrachtung eines Werks ist eben nicht die Spiegelung seiner Entstehung. Und auch wenn das Ergebnis einleuchtet, es bedeutet deshalb nicht, dass es mit Kalkül in die Welt gesetzt wurde. Weißt Du, ich habe gar nicht so viele Ideen. Ideen stören bei der Arbeit. Es sind eher Vorstellungen, denen ich nachgehe. Mit einem Anfang, den ich setze – das ist beim Zeichnen genau so wie in den 3-dimensionalen Arbeiten oder den Videos. Es fängt etwas an, und dann erfordert es eine Reaktion, eine Korrektur. Oder es verbinden sich Themen. In der Videoarbeit Mitzpe-Ramon hatte ich zunächst nur die Vorstellung davon, etwas mit Wind zu machen. Indem ich zu dem Spielzeugzelt kam, lagen plötzlich die Bezüge auf der Hand – Indianer, Cowboys, Siedler. Und als ich in Mitzpe-Ramon eintraf und sah, dass überall gebaggert und gebaut wurde, dass in denkbar anschaulichster Weise das Thema „Siedeln“ präsent war, da passte alles genau zusammen. Hätte ich die „Idee“ gehabt, eine Arbeit zur israelischen Siedlungspolitik zu machen, wäre dabei etwas ganz anderes herausgekommen. So wie die Arbeit jetzt ist, bleiben der Wind und die Stangenkonstruktion des Zeltes das Wesentliche der Arbeit. Sobald das Zelt kollabiert, tritt der Hintergrund der Szene nach vorne. 

BH: Es fängt etwas an, sagst Du, nicht: Ich fange etwas an. Aber dann machst Du weiter, reagierst, korrigierst. Wohin? Vielleicht wäre es richtiger gewesen, zu fragen, wie Du fertig wirst mit einer Arbeit. Wann weißt Du bzw. wie erkennst Du, dass die Arbeit fertig ist?

MB: Bis die Arbeit mich überrascht. Ich könnte auch sagen, bis ich sie verstanden habe. Bis sie gut ist, bis sie mir etwas offenbart, was ich mir nicht ausgedacht habe. Ich rechne beim Arbeiten sehr mit meiner eigenen Ratlosigkeit und auch einer gewissen Ziellosigkeit. Ich betrachte das im Grunde als das Wesen künstlerischer Arbeit, als Methode, die eben grundsätzlich anders ist als das Konzept von Idee – Entwurf – Ausführung. Man kommt zu anderen Ergebnissen, als wenn man versucht, seine Ideen oder Überzeugungen ins Werk zu setzen. Nach meinem Eindruck leidet viele Kunst daran, dass sie ihre ureigene methodische Autonomie aufgibt und projektorientiert vorgeht.

BH: Und dieser Methode entspricht dann auf der anderen Seite die unverstellte Nüchternheit der Betrachtung, verstehe ich das richtig? Ohne „Aufladung“ durch – womöglich auch noch poetische – Titel oder irgendwie originelle Gestaltung des Kunstwerkes muss man sich an die unmittelbare Wahrnehmung halten. Du willst den Betrachter unschuldig machen, bevor dann doch wieder das Rauschen der Bezüge und Assoziationen einsetzt. 
Insofern ist unser Gespräch die unsinnigste Art, etwas vom Wesen Deiner Arbeiten zu vermitteln, weil es Dir gerade um das Unvermittelte geht. Und insofern ist Dein kleiner Nürnberger Katalog[2], der zu den Abbildungen nur lakonische Werkbeschreibungen gibt,  eigentlich Deiner Arbeit adäquat. Hören wir also auf, sprachliche Vorstellungen Deiner Werke zu geben, die eigentlich Davor-Stellungen sind. 

MB: Der Nürnberger Katalog war genau so gemeint: Diese kleinen Beschreibungen hatten da ihren Auftritt, und ich finde auch, dass sie – wie ein „Unterspielen“ – die Arbeiten dramatisch aufgeführt haben. Indem ich mir eine einfache Beschreibung – eben im Sinne eines Sachverhalts, d. h. ohne Umschreibung und ohne Vergleich, ohne Anführungsstriche und ohne Kommentar – abverlangt habe, merkte ich überhaupt erst, wie komplex die Sachen sind, wie entscheidend die Verbindungen in ihnen. Und es wurde klar, wie schwierig es ist, die Aufmerksamkeit darauf zu konzentrieren, was es ist – also nicht: was es bedeutet oder woran es erinnert (das kann in einem nächsten Schritt kommen). Genau wie Tan Lin es sagt – „Aufmerksamkeit ist ein Medium der Zuneigung“[3] –, bedeutet diese Hinwendung zunächst einmal, die Dingwelt ernst zu nehmen ist. Meine Arbeiten finden in der Wirklichkeit statt – ich nenne das gerne: den Raum diesseits des Bildschirms –, in demselben nicht virtuellen Bereich und aus denselben Stoffen gebaut, die uns auch sonst körperlich ständig begegnen. 

Ich nehme meine Welt nicht nur informativ wahr. Ich sehe immer gleich, wie alles ineinander verhakt ist, wie jedes Material ein anderes berührt. Alles ist in etwas anderes eingehängt. Und alles bildet mit seiner Oberfläche die Außenhaut seines Gegenteils. Das muss man sich mal vorstellen. 

 

[1] Ravensburger Taschenbuch: Monika Brandmeier: Dinge Dinger. Katalog zur Ausstellung in der Städtischen Galerie Ravensburg 1996
[2] Monika Brandmeier. Hrsg. Albrecht Dürer Gesellschaft Nürnberg 1992
[3] Tan Lin: Reading in, out and in between the work of MB, Katalog „Monika Brandmeier Sachverhalt“, Nürnberg 2009